Stahlgerüst und Plastikhüllen umgaben seit Wochen Hauptfassade und Ostseite des Hauses Brugger an der Hauptstraße 48. Nun steht es vom Gerüst befreit in sauberem, hellem Verputz mit erneuerten Gesimsen da. Eine besonders sorgfältige Überarbeitung erfuhr durch Herrn Kirchenmaler und Restaurator Karl Haaga der Erker, der in Franz Willis Baugeschichte von Rorschach als prunkvolle Zierde des Hauses bezeichnet wird. So wird dieses wertvolle Bürgerhaus unserer Stadt erneut die Aufmerksamkeit aller Freunde alter Städtebaukunst auf sich ziehen.
Herr Ernst Brugger-Ackermann hat keine Mühe gescheut, sein mit Rorschachs Vergangenheit eng verknüpftes Haus – unter Mitwirkung des kantonalen Denkmalpflegers und des Heimatschutzes – stilgerecht zu renovieren und besonders die wertvollen Reliefs am Erker zu erhöhter Geltung zu bringen. Es möge dies der Anlaß für viele werden, trotz dem Verkehrslärm, vom gegenüberliegenden Trottoir aus das sinnreiche Schnitzwerk zu betrachten.Der zwei Stockwerke umfassende Hoffmannsche Erker – wie wir ihn nach seinem reichen Erbauer, dem Leinwandherrn Caspar Bernhard von Hoffmann nennen – verkörpert eine ganze Lebensauffassung. Dabei müssen wir uns aber seine ursprüngliche Gestalt (Abbildung 1) vergegenwärtigen. Zwei sprungbereite Löwen, die Symbole der Kraft und des Mutes, trugen den Erker. Den untern Abschluß bildete eine mächtige Traube, die Fruchtbarkeit und Reichtum verkünden soll. Etwa 1915 sind Traube und Löwe, die übrigens nichttragende Elemente und wetterbeschädigt waren, einem Ladenumbau zum Opfer gefallen. Sie befinden sich heute im Heimatmuseum. Pfosten, Ecken und Seitenfelder der beiden Erker prunken in Früchteschmuck, der infolge seiner ausgewogenen Anordnung eher zurückhaltend als überladen wirkt. Das Ganze erscheint als typischer Übergang vom manchmal überlasteten Barock zum zierlichen, leichten Rokoko. Die Felder unter den Erkerfenstern des ersten Stockwerkes sind mit Reliefs ausgefüllt. Das östliche zeigt die Rückkehr der israelitischen Kundschafter Josua und Kaleb aus dem gelobten Lande. Sie tragen an einer Stange eine große Traube. Wie um zur Bewunderung der herrlichen Gottesgabe anzuregen, wendet sich der vordere Träger zur Traube zurück. Dieses Motiv findet seit der Renaissance häufige Verwendung, z. B. auf Leinendamasten, aber auch auf Fußböden, Ziertellern aus Messing und auf Ofenkacheln. Ein Beispiel aus der Nähe befindet sich, ebenfalls aus Holz geschnitzt, am Restaurant zur Traube in Horn (Abbildung 2).In der westlichen Füllung steht vor den Zelten der Philister kampfgerüstet ein Feldherr, der mit seinem «Sonne, steh still!» Er will den Tag verlängern, um seinen Kriegern den vollen Sieg zu gewähren (Abb.3).Im Relief des kleineren oberen Erkers umrahmen die Fruchtbündel einen Rosengarten. Hier hat der unbekannte Künstler eine neutestamentliche Szene, den Ostermorgen, dargestellt. Christus im Gewand eines Gärtners vor der Grabestür stehend, erscheint Magdalena. Beide Gestalten sind ausdrucksvoll: wie fragend steht die Frauengestalt da, Christus wie auf die Frage horchend.
Die ganze Anlage scheint mir eine Idee auszudrücken. Die Löwen: der Kaufmann braucht Tatkraft und Mut. Die alttestamentlichen Darstellungen: er hat auch von fernher sein Glück zu holen (Traubenträger) und es mit unermüdlicher Arbeit, für welche die Tage oft zu kurz sind, zu mehren (Josua.) Der Darstellung des Ostermorgens mag der Sinn zugrunde liegen, daß der Kaufherr selbst nicht über Vergängliches und Irdisches gebietet, sondern daß er seinen Meister in Christus finden muß, der das ewige Leben verheißt.
Caspar Bernhard von Hoffmann oder Hoffmann von Leuchtenstern, wie sein Adelsprädikat lautete, erbaute sein schmuckes Haus, Hauptstraße 48, auf einer Liegenschaft, die er 1719 zusammen mit der nördlichen (Bahnplatz 13) und östlichen (Hauptstraße 46) erworben hatte und die bis 1907 im Besitze dieser Familie blieb. Die geschäftlichen Erfolge der Hoffmann im Leinwandhandel möge die Tatsache unterstreichen, daß seit 1690 zwei Geschäftshäuser in Rorschach bestanden: das eine mit Paul Franz (1624-1717), dem Vater Caspar Bernhards, und dessen ältestem Bruder Joseph Franz (1653-1699), das andere mit Caspar Bernhard (1670-1722), dem jüngsten Sohn Paul Franzens, und seinem Onkel, Johann Balthasar (1638-1726). Dieser hatte 1681 den Adelsbrief erworben und 1703 das Wiggengut gekauft. Mit diesem Viergespann hatten die Hoffmann den einstigen Rückstand im Rorschacher Leinwandgeschäft, aufgeholt und schickten sich an, neben den Bayer ein gewichtiges Wort im Fernhandel mitzusprechen, als mit der Einwanderung der von Albertis eine unerwartete Konkurrenz auftauchte, mit der sich dann die Nachkommenschaft des Johann Balthasar auseinanderzusetzen hatte.
Es war Caspar Bernhards Vater, Paul Franz, der nach 39jährigem Unterbruch, der durch gelegentliche Geschäfte gekennzeichnet war, die Hoffmannsche Gesellschaft zu neuem Leben erweckte. Als Angestellter der Bayer wohnte er noch im Hause Hauptstraße 53 (Dr. Weder), machte sich dann aber selbständig und erbaute 1671 das später sog. Obere Hoffmannsche Haus, Mariabergstraße 11. Über den ebenso geschäftstüchtigen Caspar Bernhard, von dem hier die Rede ist, wäre noch manches zu berichten (s. vom Verfasser: Rorschacher Neujahrsblatt 1968; S. 16/17). er stiftete mit seinem Vater den Hauptaltar der Kolumbanskirche und das Monument der Hoffmannschen Gräberhalle.
Infolge der Eisenbahnbauten, also drei bis vier Generationen nach Caspar Bernhard, waren die Liegenschaften an der Hauptstraße gefährdet: das Handelshaus (Haus Brugger, Hauptstraße 48), ein Nebengebäude (Drogerie Schläpfer, Hauptstraße 46) und ein Garten mit Gartenhaus am See. Schon der Zweigbahn, die als Folge der St.Galler-Linie 1856 vom Bahnhof zum Hafen gebaut wurde, fielen Garten und Gartenhaus zum Opfer. Jos. Marzell Hoffmann, der dritte dieses Namens, der spätere Nationalrat, damals Mitglied des Kleinen Rates, erstellte an die durch Bahn und Bahnplatz gegen den See festgesetzte Baulinie ein Wohnhaus, «Helvetia» genannt. Bei der Einführung der Romanshornerlinie, 1869, beanspruchte die Nordostbahn dieses Haus auf Abbruch und kaufte es nebst dem Handelshaus samt Grund und Boden bis zum Baderbach. Doch bald konnte J. M. Hoffmann mit den erhaltenen Expropriationsgeldern das Handelshaus und den NOB-Boden wieder zurückkaufen und seine «Helvetia am See» als «dreistöckiges Haus mit breiten Fenstern» aufbauen und eines gegen die Stadt errichten, das er «Helvetia gegen die Straße» nannte.
1907 kam die Liegenschaft in fremde Hände: die «Helvetia gegen die Straße» an Kaufmann Arnold Fürer, die «Helvetia am See» an Josef Zuber und das große Wohnhaus mit den Erkern an Kaufmann Max Brandenburger in Rorschach und Konsorten. 1909 kaufte Emil Brugger, der Vater des jetzigen Inhabers, das stilvolle Haus. Neben dem schönen Erker erinnern die Geschäftsräumlichkeiten im Erdgeschoß an den einstigen Leinwand-Fernhandel der Rorschacher Kaufmannsfamilie von Hoffmann.
Richard Grünberger
Ostschweizer Tagblatt, 5. 9. 1968
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